Der Bienen-Opa
Als kleines Mädchen verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern. Sie gingen verschiedenen Tätigkeiten nach, unter anderem waren sie auch Imker. Die Bienen waren auf hölzerne Bienenhäuser und Wagen, aufgestellt in abgelegenen Gärten, verteilt. Nach dem Frühstück verabschiedete sich mein Opa und ging los, um nach seinen Bienen zu schauen. Gegen Mittag kam er zurück und ging am Nachmittag wieder los. Wenn er mich mitnahm, wurde ich oft in respektvoller Entfernung auf eine Schaukel gesetzt und er verschwand im Bienenhaus. Zum Spielen eigneten sich diese Tiere nicht. Gelegentlich bekam ich auch einen Stich, also blieb ich in sicherer Entfernung. Dauerte die Arbeit länger, wurde ich in der Dämmerung ins Bienenhaus geholt. Dort war es warm und es roch immer gemütlich nach Honig und Wachs und nach dem Tabak der Räucherpfeife. Bienen gab es im Bienenhaus nicht, aber man hörte ihr Brummen. Manchmal öffnete mein Opa von hinten die Beuten, dann kam eine Glasscheibe zum Vorschein und dahinter konnte ich die Bienen beobachten. Natürlich wollte ich immer die Königin, von der ich wußte, dass es nur eine in jedem Stock gibt, sehen. Die dicken Drohnen konnte ich schon gut unterscheiden.
Um mir die Angst vor den Bienen zu nehmen, sammelte mein Opa für mich in einer kleinen Beute einen Bienenstock nur aus Drohnen, der dann natürlich immer gefüttert werden musste. Aber so ganz traute ich dem Frieden nicht: es könnte sich ja doch ein Arbeiterin einschleichen. Honig gehörte immer ganz selbstverständlich auf den Tisch. Meine Oma war ein sparsame Frau. Schokolade und Bonbons wurden kaum gekauft. Wenn ich etwas Süßes wollte, bekam ich Honig. Manchmal bekam ich ein Stück Wabe zum Auskauen, aber das Wachs wurde wieder abgegeben, denn es ist ja wertvoll. Zu den täglichen Diskussionen gehörte das Reden über das Wetter. Für Imker ist das Wetter immer schlecht: zu kalt, zu windig, zu trocken, Hagel in der Obstblüte, Regen in der Rapsblüte, der Winter zu lang, das Frühjahr zu spät ... Rähmchen kratzen musste meine Oma, um die Rückstände zu beseitigen, damit mein Opa wieder neue Mittelwände einlöten könnte. Im Frühling wurde mit den Wagen gewandert, in den Klee oder in den Wald. Dann fuhren meine Großeltern mitten in der Nacht mit dem Trecker los, wenn die Bienen im Stock waren. Bei Spaziergängen durch den Wald, entdeckte mein Opa gelegentlich andere Bienenwagen. Dann mußte herausgefunden werden, wer an einem besseren Standort stand. Über der Tür vom Bienenwagen, ganz klein, ganz oben war der Name angebracht. Also las ich stehend auf den Schultern meines Opas, nah an den schwirrenden Bienen, das Schild.
Es war immer der große Wunsch meines Großvaters, dass ich die Bienen übernehme und die Imkerei weiterführe. Als Teenager konnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen. So sehr mir das alles vertraut war, wollte ich dennoch weg zu ganz anderen Aufgaben.
Ende der siebziger Jahre machte eine Bienenkrankheit meine Großeltern sehr unglücklich. Bienenvölker gingen ein, teilweise starben ganz Bienenstände aus, man wußte noch nicht was da passiert war. Mein Opa starb zu Beginn der achtziger Jahre, ohne zu wissen, was die Bienen krank machte, wie man dagegen vorgehen kann. Heute imkern wir ganz selbstverständlich mit der damals eingeschleppten Varroamilbe.
Mein Opa
Mein Opa Raimund Höhny in den sechziger Jahren in Weimar bei der Arbeit an seinen Bienen.